Kommt die Kindergrundsicherung jetzt tatsächlich?

Am Mittwoch hat die Ampelkoalition ihren monatelangen Streit über die Kindergrundsicherung beigelegt. Der beschlossene Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sieht im Kern die Bündelung und Erhöhung mehrerer staatlicher Leistungen vor, die für Kinder bezahlt werden. Anfang 2025 soll es losgehen. Berechnung und Auszahlung werden demnach automatisch erfolgen, ohne dass es eines Antrags bedarf. Paus zur Einigung: „Nach Jahrzehnten der politischen Diskussion hat diese Bundesregierung eine Antwort auf Kinderarmut in Deutschland gefunden, denn mit der Kindergrundsicherung knüpfen wir ein wirksames Sicherheitsnetz für alle Kinder und ihre Familien.“

Wie setzen sich die Leistungen zusammen? Ab 2025 soll es für alle Kinder den sogenannten Garantiebetrag geben, der das heutige Kindergeld, derzeit 250 Euro pro Monat, ablöst. Hinzu kommt ein je nach Bedürftigkeit der Familie gestaffelter Zusatzbetrag. Seine Höhe richtet sich nach dem Alter des Kindes und dem Einkommen der Eltern. Je weniger diese verdienen, desto höher fällt er aus. Der bisherige Bürgergeld-Anteil für Kinder sowie weitere Zuschläge und Beihilfen sollen in dieser Summe aufgehen. Anlaufstellen sollen die heutigen Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit sein, künftig werden sie „Familienservice“ heißen. Mit wie viel Geld können ärmere Familien künftig rechnen? Paus hatte kürzlich folgende Zahlen genannt: Bei armutsgefährdeten Kindern geht es um Leistungen zwischen 530 Euro für die jüngsten und 636 Euro für die ältesten. Berücksichtigt ist dabei die bevorstehende Bürgergelderhöhung um rund zwölf Prozent im Jahr 2024 und eine weitere erwartete Erhöhung um drei Prozent 2025. Berechtigt wären laut Paus rund 5,6 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, darunter die 1,9 Millionen, die aktuell Bürgergeld beziehen.

Wie ging der erbitterte Streit zwischen Lisa Paus und Christian Lindner aus? Um die finanzielle Dimension hatten sich Paus und Finanzminister Christian Lindner heftig gezankt. Während Paus zunächst zwölf Milliarden Euro jährlich forderte, sah der FDP-Mann das Vorhaben vor allem als Verwaltungsreform – durch die vorangegangene Kindergelderhöhung sei keine Ausweitung der Leistungen nötig, fand er. Auch gegen die von Paus geplante Einbeziehung der Kinder von Asylbewerbern wehrte sich Lindner – und setzte sich durch. Im Haushalt für 2025 werden nun rund 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten veranschlagt. Wenn in den Folgejahren die Inanspruchnahme zunimmt, könnten die Kosten in den Folgejahren auf bis zu sechs Milliarden Euro steigen.

Ist die Kindergrundsicherung damit in trockenen Tüchern? Im Bundestag dürfte wegen der Regierungsmehrheit eigentlich nichts anbrennen. Doch die SPD-Fraktion will sich laut ihrem Chef Rolf Mützenich nicht mit dem Vorhaben befassen, bevor klar ist, dass es nicht anderen Gesetzen widerspricht. Zu einer solchen Rechtsförmlichkeitsprüfung habe sich die Bundesregierung selbst verpflichtet. Mützenichs Weigerung ist also eine Ohrfeige für Paus. Die Opposition lässt kaum ein gutes Haar an dem Plan. Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Stracke, sagte unserer Redaktion: „Der Gesetzentwurf der Ampel ist für die Tonne: wirkungslos, teuer und bürokratisch.“ Statt „reiner Symbolpolitik“ seien für bessere Chancen im Leben und sozialen Aufstieg „eine bessere Bildungsinfrastruktur, frühe Hilfen und bessere Betreuungsmöglichkeiten für Familien“ nötig.

Wie ist die Lage im Bundesrat? Zustimmen muss auch die Länderkammer, in der die Ampel keine Mehrheit hat. Dort droht heftiger Widerstand. Bayerns Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) sagte unserer Redaktion: „Dieser Gesetzentwurf ist nicht der versprochene große Wurf zur dauerhaften Vermeidung von Kinderarmut, sondern eine bisher schlecht durchdachte Verwaltungsreform.“ Damit werde ein „neues Bürokratie-Ungeheuer“ geschaffen und keine echte Verbesserung für Familien. Auch der Deutsche Landkreistag warnt, die Reform führe zu einem „chaotischen Bürokratieaufbau“ und drängt den Bundestag, ihr nicht zuzustimmen. Sind die Sozialverbände nun zufrieden? Im Gegenteil. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband sagte etwa, die „sogenannte Kindergrundsicherung der Ampel“ sei schon vor ihrem Beginn an ihrem wichtigsten Ziel, der Bekämpfung von Kinderarmut, gescheitert. Es sei unbegreiflich, dass sich die Bundesregierung „nicht zu einer Erhöhung der Leistungen durchringen konnte“.