Der Architekt der deutschen Einheit

Obergünzburg/Ostallgäu - Es war im September 1989, als Theo Waigel Prügel bezog. Nicht, dass er körperlich angegangen worden wäre, nein. Die Hiebe waren verbaler Art. „Eine Sturzflut von Beschimpfungen“ musste er ertragen, erinnert sich Waigel. Von politischen Gegnern, von Parteifreunden, der Presse. Hatte Waigel es doch gewagt, vor Journalisten zu verkünden, dass „die Deutsche Einheit wieder auf der Tagesordnung der Weltgeschichte“ stehe. Für viele damals eine undenkbare Vorstellung. Doch Waigel hatte früher als andere den Umbruch in der DDR und den Staaten des Ostblocks erkannt. Der Mauerfall kam nur Wochen später. Waigels Einschätzung wurde Wirklichkeit.

Anekdoten und Erinnerungen wie diese waren es, die am Vorabend des Einheitstages die Zuhörer in Obergünzburg fesselten und die Wendezeit vor 30 Jahren lebendig werden ließen. Auf Einladung des Kaufbeurer Bundestagsabgeordneten Stephan Stracke war Waigel (80) in die Marktgemeinde gekommen – obwohl er auch zum Festakt der deutschen Einheit mit Bundeskanzlerin Merkel nach Kiel geladen war. Doch Waigel entschied sich fürs Ostallgäu. Und nicht wenige Menschen aus der Region nutzten die Gelegenheit, im Obergünzburger Hirschsaal den Mann zu treffen und zu hören, der im Gefolge des Mauerfalls einer der Architekten der deutschen Einheit war. Als Bundesfinanzminister hatte Waigel damals die Verhandlungen zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion geführt. (...)