Alle haben bestens zusammengehalten
Memmingen/Unterallgäu. Über die Auswirkungen der Pandemie auf die Einrichtungen der Lebenshilfe Memmingen/Unterallgäu sprach der Allgäuer Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke (CSU) bei einem Vor-Ort-Besuch mit der Geschäftsführerin der Lebenshilfe e.V. Katharina Sinz, dem Geschäftsführer der Unterallgäuer Werkstätten Wolfgang Beuchel, Gesamtbetriebsleiter Richard Hack, der pädagogischen Leiterin der Werkstätten Katja Schweinberger und der 1. Vorsitzenden der Lebenshilfe Jutta Maier sowie ihrer Stellvertreterin Susi Herz.
Stracke, der auch sozial- und gesundheitspolitischer Sprecher der CSU im Deutschen Bundestag ist, hatte um dieses Gespräch gebeten. "Mir ist es ein wichtiges Anliegen, mit Ihnen darüber in den Austausch zu treten, wie die Pandemie die Arbeitsprozesse in den Einrichtungen verändert hat", so der Abgeordnete.
Sehr zufrieden sei man mit dem Krisenmanagement durch Bund und Land, betonte Beuchel zu Beginn des Gesprächs. "Die Politik hat uns in allen Belangen gut unterstützt. Sie alle machen einen guten Job", lobte er.
Oberste Prämisse war zu Beginn des Lockdowns, so berichtete Hack, die Menschen mit Behinderungen, die zu den Risikogruppen zählen, umgehend zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz anderer vor Ansteckung aus den Werkstätten zu nehmen. Sie wurden entweder nach Hause oder in die zur Lebenshilfe gehörenden Wohneinrichtungen geschickt.
Nach dem Vorbild der Kliniken und Altenheime hatte man die Lebenshilfe-Wohngruppen regelrecht „abgeriegelt“, erläuterte Sinz. Für das Betreuungspersonal war Schutzkleidung eingeführt worden. Außerdem erhielten die Mitarbeiter Schulungen zum richtigen Verhalten in der Pandemie. Frei werdende Personalressourcen habe man aus anderen Einrichtungen, wie Schule, Kindergärten oder Frühförderung auf zunächst freiwilliger Basis in die Wohngruppen entsendet. Für die Mitarbeiter sei dies zweifelsohne eine herausfordernde Zeit gewesen. Sie mussten nicht nur andere Aufgabenbereiche übernehmen, sondern trugen immer auch das Infektionsrisiko. Mitarbeiter, die selbst zur Risikogruppe aufgrund von Alter oder Vorerkrankungen gehörten, habe man konsequent in die Werkstätten oder in Kurzarbeit geschickt, berichtete sie. "Für die Bewohner der Wohngruppen selbst war dies trotz der Tatsache, dass sie von der Außenwelt weitgehend abgeschottet waren, eine schöne Zeit, denn sie erhielten sehr viel Aufmerksamkeit", so Sinz. Als sichtbares Dankeschön für ihren außerordentlichen Einsatz erhielten die Mitarbeiter, die sich dem besonderen Risiko in den Wohnheimen ausgesetzt haben, eine Belastungszulage von 15 Prozent für jede eingesetzte Stunde in den Monaten Mai, Juni und Juli. Sehr rasch habe sich gezeigt, dass im großen Team der teils weit versprengten Einrichtungen der Lebenshilfe alle füreinander einstehen. Da sei es wichtig gewesen, sich auch als verlässlicher Arbeitgeber zu erweisen.
Vom Virus betroffen sei bei den Menschen mit Behinderung bis heute keiner, bei den Mitarbeitern habe es im Bereich der Schule zwei Infizierte gegeben, so Sinz und Beuchel.
Die Aufträge in den Werkstätten konnten dennoch weiter abgewickelt werden. Hier sprangen Mitarbeiter aus anderen Bereichen ein wie beispielsweise Therapeuten und Pädagogen aus der pandemiebedingt geschlossenen Frühförderung. Das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung sei ausgesprochen hilfreich gewesen. Für die Zeit vom 1. Mai bis zum Ende der Pfingstferien habe man im Bereich des Vereins der Lebenshilfe Kurzarbeit angemeldet. Auch damit war viel Druck herausgenommen worden. "Das Arbeitsmarktinstrument Kurzarbeitergeld hat sich in ausgezeichneter Weise bewährt. Damit haben wir es geschafft, uns den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie wirkungsvoll entgegenzustellen und Arbeitsplätze zu sichern" erklärte Stracke dazu.
Wie Beuchel berichtete, habe man seit März dieses Jahres in den Werkstätten einen Umsatzrückgang von rund zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nun sei aber spürbar, dass in manchen Bereichen die Folgeaufträge für die Werkstätten nicht kämen, so dass sich der Blick in die Zukunft etwas unsicherer darstelle.
Herausfordernd war die Situation auch für die Eltern, wie Herz und Maier erklärten. Sie hatten einen erhöhten Betreuungsaufwand zu Hause. Um hier die Situation abzufedern, waren sehr rasch Notgruppen eingerichtet worden. Auch Eltern, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, profitierten davon. Insgesamt habe man wöchentlich mindestens eine Krisensitzung abgehalten, berichtete Beuchel. Über die Ergebnisse habe man stets zeitnah die Eltern informiert.
Wichtig sei nun, bald wieder möglichst viele Menschen in die Werkstätten und damit in einen geregelten Tagesablauf zu bringen, erläuterte Hack. Für Menschen mit Behinderung sei die Beschäftigung in den Werkstätten mehr als nur ein Arbeitsplatz, "für viele ist sie das zweite Zuhause", so der Betriebsleiter. Dass sie mit den Hygienemaßnahmen gut umgehen könnten, habe man in der Phase der ersten Lockerungen festgestellt. Dies gebe allen Verantwortlichen echte Zuversicht.
Um die notwendigen räumlichen Abstände einhalten zu können, habe man sich entschieden, ein Schichtmodell in den Werkstätten einzuführen, erklärte Beuchel. Bis zum Ende der Ferienzeit, in der urlaubsbedingt weniger Mitarbeiter und weniger Menschen mit Behinderung da sind, bleibe man durch die wechselnden Schichten handlungsfähig. Für den September plane man auf einem noch freien Grundstück, das bereits im Eigentum der Werkstätten ist, zwei große Zelte aufzustellen. Hier wird für 60 weitere Menschen mit Behinderung, die momentan noch zu Hause sind, ein Arbeitsplatz nach den neuen Abstandsregelungen eingerichtet.
Wie Beuchel berichtete, war das Personal in der Krisensituation enger zusammengewachsen. Allen sei aber auch mit Blick auf die nächsten Wochen und Monate bewusst, dass alle Hygiene- und Schutzmaßnahmen mindestens bis zum ersten Quartal 2021 bestehen bleiben. Derzeit sei es das Ziel, die Mitarbeiter mittelfristig wieder alle in ihre eigenen Gruppen zu bringen. Aufwand und Mehrkosten seien aufgrund der Pandemie nicht unerheblich. So beliefen sich die laufenden Kosten für jede Gruppe mehr, die eingerichtet werden müsse, auf rund 18.000 Euro pro Monat. Nun hoffe man, dass der Bezirk die Finanzierung auch der Mehrkosten weiterhin aufrechterhalten könne.
Stracke dankte den Anwesenden zum Abschluss des Gesprächs für ihre Zeit und die umfangreichen Informationen. "Sie haben meinen höchsten Respekt für das, was Sie in den schwierigen Wochen und Monaten der Pandemie geleistet haben. Dass das gesamte Team enger zusammengerückt ist und der Zusammenhalt der Belegschaft so gut funktioniert hat, macht Mut. Ich danke allen für das großartige Engagement und den persönlichen Einsatz. Sie geben Menschen mit Behinderungen eine echte Perspektive", lobte der Abgeordnete.
Hintergrundinformation:
Seit 1967 hat sich aus den kleinen Anfängen einer Elternvereinigung die Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung Memmingen/Unterallgäu e.V. entwickelt.
Inzwischen ist daraus ein mittelständisches Unternehmen mit 15 Einrichtungen und den Unterallgäuer Werkstätten als Tochter-GmbH entstanden.
In Memmingen und der Kreisstadt Mindelheim werden Menschen mit Behinderung in allen Lebensphasen begleitet. Ihre Angehörigen finden Beratung und Entlastung im Alltag durch die vielseitigen und vielfältigen Angebote.