„Wir müssen unsere sozialen Kontakte jetzt drastisch reduzieren“

Marktoberdorf/Ostallgäu. Vor dem Hintergrund der rasant wachsenden Covid19-Infektionszahlen tauschte sich der Allgäuer Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke (CSU) mit der Leiterin des Gesundheitsamtes Ostallgäu Dr. Michaela Hoffmann sowie dem stellvertretenden Abteilungsleiter Dr. Florian Jung zur aktuellen Situation im Ostallgäu und der kreisfreien Stadt Kaufbeuren aus.

Das Robert-Koch-Institut meldete deutschlandweit nach dem Wochenende einen Wert von fast 17.000 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages. Trotz des partiellen zweiten Lockdowns ist bisher kein nennenswerter Rückgang der Ansteckungen spürbar. Die Zahl intensivmedizinisch behandelter Covid-19-Patienten hat sich innerhalb von nur zwei Wochen auf 3.385 Patienten mehr als verdoppelt. Im Ostallgäu und der Stadt Kaufbeuren steht die Corona-Ampel auf dunkelrot.

"Jetzt gilt es, die Welle an Neuinfektionen zu brechen. Andernfalls ist eine vollständige und möglichst frühe Nachverfolgung der Fälle nicht mehr gewährleistet. Das wiederum führt zu einer beschleunigten Ausbreitung des Virus. Bestes Beispiel hierfür ist die Bundeshauptstadt Berlin, in der teilweise die Nachverfolgung aufgegeben wurde. Dann kann der Anstieg an Neuinfektionen nur durch noch weitere und sehr einschneidende Beschränkungen begrenzt werden", warnte Stracke. Mit Hoffmann und Jung sprach der Abgeordnete, der auch gesundheitspolitischer Sprecher der CSU im Deutschen Bundestag ist, darüber, welch große Herausforderungen das Gesundheitsamt derzeit zu bewältigen hat und inwieweit die Nachverfolgung der Kontakte im Ostallgäu aktuell noch möglich ist.

Seit Wochen werde das Gesundheitsamt von der zweiten Pandemiewelle "wie von einem Tsunami überrollt", berichtete Hoffmann. Jedem Einzelfall werde seitens des Amtes nachgegangen, um die Kontaktpersonen schnellstmöglich zu ermitteln. Dies sei jetzt deutlich zeitaufwändiger als im Frühjahr. In der ersten Pandemiewelle habe man bei jedem Infizierten nur eine Handvoll Kontakte nachverfolgen müssen. Hier haben die zügigen Beschränkungen im März und April gegriffen. Im Herbst gab es diese Beschränkungen nicht mehr. In der Freizeit und im privaten Bereich, im Sport, den Vereinen und bei Feiern trifft jeder auf eine Vielzahl von Menschen. In der Verbindung mit den mittlerweile rasant steigenden Infektionszahlen bedeutet das Ermitteln und Verfolgen aller Kontakte eines Infizierten einen enormen Arbeitsaufwand für das Gesundheitsamt.

Man sei ausgesprochen dankbar, führten Hoffmann und Jung aus, dass die Stammbelegschaft des Gesundheitsamtes in diesen fordernden Zeiten personell unterstützt werde. So sei das Team, das in normalen Zeiten aus 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt, nun durch weitere Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus, Bundeswehrangehörigen aus Füssen und durch Mitarbeiter anderer Behörden sowie der Polizei verstärkt worden. "Wir müssen täglich auf neue Situationen rasch reagieren. Das erfordert hohe personelle Kapazitäten", erklärte Hoffmann. Allerdings müssten die externen Mitarbeiter erst durch die Stammbelegschaft eingearbeitet werden. Sie benötigten außerdem Räume und Equipment. "Die Herausforderungen werden nicht weniger. Die Nachverfolgung immer schwieriger", stellte Jung dazu fest. Aktuell sind im Gesundheitsamt Ostallgäu insgesamt 140 Mitarbeiter mit der Kontaktnachverfolgung beschäftigt.

Was hier geleistet werde, so Stracke, sei sehr beeindruckend. Er dankte allen für ihren Einsatz. "Sie sind an vorderster Front gefordert und stellen sich mit herausragendem Engagement den schwierigen Aufgaben. In dieser Intensität ist dies auf Dauer nicht durchzuhalten", stellte er fest. "In ganz Deutschland hat sich gezeigt, dass die Gesundheitsämter für den Pandemiefall, wie wir ihn derzeit erleben, personell und technisch nicht ausreichend gerüstet waren. Der Bund hat den Handlungsbedarf erkannt. Er greift den Ländern im Rahmen des "Paktes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst" mit insgesamt vier Milliarden Euro unter die Arme", erläuterte Stracke. Die Gesundheitsämter jetzt zu stärken, sei nur über Personalaufstockung möglich. Dies sei aber ein mittelfristiger Prozess. Daher ist es gut, dass beispielsweise Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr kurzfristig einspringen.

Dass die Geduld der Bevölkerung mit den einschränkenden Maßnahmen zumindest in Teilen nachlässt, habe man auch im Ostallgäuer Gesundheitsamt feststellen müssen. So habe die Akzeptanz der notwendigen Quarantänemaßnahmen nachgelassen. "Nicht jeder zeigt Einsicht dafür, dass die Quarantäne auch für Kontaktpersonen erforderlich ist, da die Inkubationszeit bei bis zu 14 Tagen liegt", erklärte Hoffmann.

Viel und teils emotional diskutiert werde derzeit die Maskenpflicht für alle Schüler im Unterricht. Allerdings habe man im Herbst mit großer Sorge beobachten müssen, dass sich immer mehr Kinder und Jugendliche mit dem Virus infizierten. So waren in kurzer Zeit mehrere Schulklassen im Landkreis und in der Stadt Kaufbeuren betroffen. "Quer durch alle Schularten haben wir sowohl bei Lehrern als auch bei Schülern ein Infektionsgeschehen über den Landkreis verteilt, und viele Klassen mit Lehrern in Quarantäne", erklärte Hoffmann. Diese Situation habe man selbst in der Hochphase der Pandemie im Frühjahr so nicht erlebt. Hier gelte es klug abzuwägen. Mit den derzeitigen Maßnahmen wie der Maskenpflicht für alle Schularten versuche man im Ostallgäu die Schließung ganzer Schulen zu verhindern.

"Die Pandemie stellt uns alle auf eine große Bewährungsprobe. Wir müssen jetzt gemeinsam alles dafür tun, die rasante Ausbreitung des Virus zu stoppen. Auch wenn es schwer fällt und auch, wenn viele jetzt die Geduld verlieren, wir müssen jetzt alle aktiv dazu beitragen, dass wir gut durch die Wintermonate kommen. Konkret heißt das, auf jeden nicht zwingend erforderlichen Kontakt zu verzichten! Das genau ist der Kern der Pandemiebekämpfung und das hilft auch unseren Gesundheitsämtern bei ihrer wichtigen Arbeit", betonte Stracke. "Wichtige oberste Priorität bleibt, dass die Schulen und unsere Kitas offen bleiben und die Wirtschaft nicht zum Stillstand kommt. Jetzt kommt es auf jeden von uns an, auf unser Engagement, auf unsere Ausdauer und darauf, dass wir aufeinander Rücksicht nehmen!"