Es braucht Klarheit beim MINUSMA-Einsatz der Bundeswehr

In den vergangenen Wochen war der derzeit größte Auslandseinsatz der Bundeswehr in Mali, die Beteiligung an dem MINUSMA-Einsatz der Vereinten Nationen, immer wieder Thema in den Schlagzeilen. Im Schwerpunkt ging es um die Probleme bei der Ablösung von MINUSMA- Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Über Wochen hatte die amtierende malische Regierung Rotationsflügen der Bundeswehr die Einflug- bzw. Überflugerlaubnis verweigert. Mittlerweile ist die Erlaubnis wieder erteilt worden und eine erste, längst überfällige Rotation konnte erfreulicherweise in der letzten Woche endlich erfolgreich durchgeführt werden.

Seit Monaten ist ferner offenkundig, dass Russland – und zunehmend auch China – für die malische Regierung zu gesuchten Partnern werden. So steigt die Zahl russischer „Sicherheitskräfte“, reguläre russische Streitkräfte oder „Wagner“-Söldner, im Land weiter an. Wir können beobachten, dass russische Kräfte zusammen mit den malischen Sicherheitskräften in Kampfhandlungen zum Einsatz gebracht werden. Dabei ist es nach übereinstimmenden Berichten auch immer wieder zu zahlreichen zivilen Opfern gekommen.

Die dritte besorgniserregende Entwicklung ist der Abzug der französischen Streitkräfte. Dieser wurde im Februar von Präsident Emmanuel Macron angekündigt und am 15. August abgeschlossen. Der Abzug ist Folge tiefgreifender Verstimmungen zwischen der alten Kolonial- und Schutzmacht Frankreich mit der amtierenden malischen Militärjunta. Die Auswirkungen sind weitreichend und betreffen auch die MINUSMA-Kräfte in Gao und das dortige deutsche Einsatzkontingent. Denn es fehlen jetzt militärische Fähigkeiten, die zuletzt von den Franzosen gewährleistet worden sind – wie etwa Kampfhubschrauber – die für den zusätzlichen Schutz der MINUSMA in besonderen Gefahrenlagen unerlässlich sind. Zudem haben die Franzosen gemeinsam mit Kräften der EU Task Force Takuba maßgeblich den Anti-Terrorkampf durchgeführt und damit einen starken Verfolgungsdruck auf die terroristischen Kräfte ausgeübt – dieser fällt nun ersatzlos weg. Wir konnten feststellen, dass an fast allen Orten, wo zuvor französische Truppen in Mali stationiert waren, jetzt russische „Sicherheitskräfte“ das Vakuum gefüllt haben – zuletzt am Flughafen in Gao, wo unser deutsches MINUSMA-Kontingent stationiert ist. Die Sicherung des Flughafens und ggf. der Flugsicherung durch russische Sicherheitsakteure erscheint als rote Linie, welche die Handlungsfähigkeit und Sicherheit des deutschen Einsatzkontingents konkret betreffen würde.

Die voranschreitende Verschlechterung der Sicherheitslage in Mali, im benachbarten Burkina Faso, aber auch in Niger und zunehmend im Norden der Küstenanrainer Benin und Togo bereitet uns Sorge. Die Sicherheitsentwicklung in der Sahel- und Tschadseezone beginnt auf die südlichen Anrainer auszustrahlen, islamistischen Terrorgruppen gewinnen immer mehr Raum. Folglich nehmen die Zahl und die Ausmaße der Angriffe dieser Gruppen auf Sicherheitskräfte, die MINUSMA-Truppen und vor allem die Zivilbevölkerung zu.

Deutschland steht angesichts dieser Lageentwicklung zusammen mit den anderen internationalen Partnern in der EU und den Vereinten Nationen vor einem Trilemma: Klar ist, dass ein internationales Engagement in Mali und der gesamten Sahel-Region aus unserer Sicht weiter notwendig ist. Gleichzeitig aber hat die amtierende malische Regierung in den vergangenen Monaten alles unternommen, um die Zusammenarbeit mit den internationalen Partnern und den ECOWAS-Nachbarn zu erschweren. Eine strategische Überlappung zwischen den Zielen der Gastregierung und der internationalen Partner ist derzeit schlichtweg nicht gegeben. Vielmehr hat sich die malische Militärregierung in den letzten Monaten aktiv Russland zugewandt, von dort Unterstützung in Form von Sicherheitskräften und politischer Patronage erhalten. Mali hat sich zudem in den Vereinten Nationen dem Abstimmungsverhalten Russlands noch stärker angenähert und den russischen Einfluss in Subsahara-Afrika verstärkt.

Das ist eine politisch schwierige Situation. Doch die Reaktion der Bundesregierung ist seit Monaten erratisch, weil unstet und vor allem nicht geschlossen – letztlich reagiert die Bundesregierung auf Lageveränderungen, ohne eine größere Zielsetzung formuliert zu haben: Was sind unsere strategischen Ziele in Mali und in der Sahelzone mit Hinblick auf die veränderten politischen Rahmenbedingungen? Kanzleramt, AA und BMVg bleiben dem Parlament und unseren Soldaten diese Antworten schuldig. So lässt sich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht seit Monaten regelmäßig mit Einlassungen zitieren, die den MINUSMA-Einsatz ein rasches Ende prophezeien. Außenministerin Annalena Baerbock und ihre Staatsminister hingegen betonen zeitgleich, wie wichtig und für die weitere Entwicklung im Sahel existenziell dieser Einsatz ist.

Während Frau Lambrecht es nicht geschafft hat, trotz monatelanger Vorankündigung Partnernationen dazu zu bringen, die französischen Kampfhubschrauber zu ersetzen, hört man aus dem AA, Deutschland dürfe die Mission nicht an wenigen Kampfhubschraubern scheitern lassen. Während unsere Soldaten nach absolviertem Einsatz auf die wohlverdiente Rotation warten mussten, beklagte sich Frau Lambrecht nur darüber, wochenlang kein Gespräch mit ihrem malischen Amtskollegen hätte führen zu können. Auch aus dem AA und dem Kanzleramt konnte man zu dieser für unsere Soldaten ganz zentralen Frage ebenfalls nichts Substantielles vernehmen. Hochrangige Repräsentanten des AA werden inzwischen weder von Staatspräsident Goita noch von Premierminister Maiga empfangen, sondern treffen den Verteidigungsminister – der ähnlich wie bei Telefonaten mit Frau Lambrecht bei vagen Versprechungen bleibt. Hier ist endlich eine politische Entscheidung durch den Bundeskanzler erforderlich – aber diese bleibt, wie in vielen anderen zentralen Fragen auch – weiter aus.

Diese Vorgänge zeugen nicht von einer abgestimmten, geschweige denn langfristig angelegten Strategie der Bundesregierung, wie mit dem MINUSMA- Einsatz und der sicherheitspolitischen Gesamtlage in der Sahel-Region umzugehen ist. Stattdessen verliert man sich in Stop-and-Go-Manövern, mit denen konkrete Festlegungen oder sogar Entscheidungen vermieden werden sollen. So ist auch das derzeit geltende MINUSMA-Mandat zu lesen, das der Deutsche Bundestag im Mai beschlossen hat und dem die CDU/CSU- Bundestagsfraktion damals zwar mit deutlicher Kritik am unklaren Kurs, aber aufgrund übergeordneter sicherheitspolitischer Abwägungen noch mit Bauchschmerzen zugestimmt hat. Denn in dem Mandat der Bundesregierung blieben viele Fragen unklar (wie etwa die zukünftige Gewährleistung der Unterstützung durch Kampfhubschrauber und damit der dringend notwendigen Rückversicherung zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten). Vor allem aber beinhaltet das Mandat eine recht ungewöhnliche und unübliche Ausstiegsklausel, die darauf hinauslauft, dass die Bundesregierung im Herbst den Einsatz und seine Rahmenbedingungen bewerten und ihn eventuell beenden will. In späteren Aussagen hat die Verteidigungsministerin dann sehr viel konkreter davon gesprochen, „spätestens im September“ solle es eine Entscheidung zur Zukunft des deutschen Mali-Engagements geben.

Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stehen drei Aspekte für eine Fortführung des MINUSMA-Einsatzes im Mittelpunkt:

Erstens hat für uns die Fürsorgepflicht für unsere Soldatinnen und Soldaten höchste Priorität. Das sicherheitspolitische Umfeld ist mit dem französischen Abzug sehr viel gefährlicher geworden, deswegen darf es keine Abstriche bei dem Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten geben. Auslandseinsätze sind nie gefahrlos. Doch es steht in der Verantwortung des Parlaments und der Regierung, alles Denkbare zu unternehmen, um die Gefahren zu minimieren. Und ebenso muss es Ziel sein, unnötige Härten der Auslandseinsätze für unsere Soldatinnen und Soldaten so klein wie möglich zu halten. Deshalb ist die Bundesregierung gefordert, sich im Falle von fehlenden Erlaubnissen für Truppen- oder Materialtransporte zeitnah einzuschalten und diesbezüglich bei der malischen Regierung zu intervenieren und nicht wochenlang rat- und hilflos die Hände zu heben und die eigene Verantwortung bei den Vereinten Nationen abzuladen.

Zweitens dürfen die Ziele unseres Engagements in Mali und der gesamten Sahel-Region nicht aus dem Auge verloren werden, die Region bleibt für Deutschland und Europa von strategischer Relevanz. Demokratische Regierungen und Sicherheitsakteure vor Ort zu ertüchtigen, den Terror und Extremismus erfolgreich eindämmen und bekämpfen zu können ist in unserem Interesse. Einhergehen muss eine Verbesserung der Sicherheitsarchitektur mit einer Stärkung ziviler Kontrolle und demokratischer Institutionen – so verbinden wir Interessen mit wertegeleiteter Außenpolitik. Dafür müssen die Instrumente unseres Handelns noch stärker vernetzt werden. Nur eine solche Strategie kann dauerhaft Stabilität und Sicherheit gewährleisten. Die Bunderegierung ist in diesem Rahmen aufgefordert, insbesondere die Länder und Partner in der Region, mit denen bisher belastbar und erfolgreich zusammengearbeitet werden kann (bspw. Niger), zu identifizieren und das eigene Engagement dort zu verstärken – und bei Ländern, bei denen keine strategische Übereinstimmung mit unseren Zielen gegeben ist, Abstriche zu machen.

Daraus folgt für uns drittens, dass es endlich eine realistische und systematische Gesamtstrategie für unser Engagement in dieser Region geben muss. Sie muss Ziele definieren, Strategien festlegen und Mittel bestimmen, wie wir zukünftig zusammen mit unseren Partnern agieren wollen. Nur so wird es möglich sein, die Stop-and-Go Politik der letzten Monate zu überwinden und eine klare Politik zu fahren. Angesichts des geschilderten Trilemmas kann das bedeuten, politische Kompromisse einzugehen oder Güterabwägungen zu treffen. Doch nur so wird es möglich sein, dem negativen Sog, in den das internationale Engagements zusehends zu geraten droht, entkommen zu können. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, sich rasch intern klar zu werden, was man will und dies dann in Form einer Entscheidung umgehend dem Deutschen Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit mitzuteilen. Hier steht die Bundesregierung in der Pflicht bei Parlament und den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.

Angesichts der Komplexität und Dringlichkeit der Lage erwartet die CDU/CSU- Bundestagsfraktion, dass die Bundesregierung nun umgehend den Deutschen Bundestag, die deutsche Öffentlichkeit und unsere Soldaten über Ihre Überlegungen und Abwägungen informiert und ein klares Votum zur Fortsetzung oder dem Abbruch der MINUSMA-Mission vorlegt. Ein weiteres Hin-und-Her darf es nicht geben, denn es gefährdet unsere Soldatinnen und Soldaten, macht Deutschland international unglaubwürdig und konterkariert jedwede Erfolgsaussicht der MINUSMA-Mission. Die Bundesregierung muss den Mut und die Geschlossenheit aufbringen, eine Entscheidung zu treffen – an beidem fehlt es augenscheinlich. Das zeigt auch das andauernde Zaudern und Zögern in der Ukrainepolitik der Bundesregierung – auch bei den jetzt neugemachten Zusagen stellen sich für uns weiterhin Fragen über Umfang, genaue Zeitlinien möglicher Unterstützungslieferungen und zukünftige Verträge über Neuproduktion mit der deutschen Rüstungsindustrie – wann kommt die Bundesregierung nach der rhetorischen Zeitwende auch in Material und konkreter Politik vor die sicherheitspolitische Welle?

Deshalb haben unsere beiden Sprecher für Außen- und Verteidigungspolitik, Jürgen Hardt und Florian Hahn, am gestrigen Mittwoch formell eine Sondersitzung ihrer Ausschüsse für die nächste Woche (35. KW) gefordert. Wir hoffen, dass die Bundestagspräsidentin und die beiden Ausschussvorsitzenden darauf mit der sachlich gebotenen Zustimmung reagieren werden.